Sonntag, 5. Juni 2011

God Save my Hat!

Vorsichtig nähern sich die Zwei dem Tatort. Die Waffe in beiden Händen, noch halten sie sie gesenkt. Zügig, aber doch bedacht und leise nähern sie sich einer Tür und gehen seitlich von ihr in Deckung, während sie ihre Waffen hochnehmen. Dann ruft einer von ihnen: „LAPD!“ und das Chaos bricht los, denn welcher gestandene Räuber denkt auch nur zwei Sekunden daran aufzugeben? Dann noch gepaart mit dem Adverb  „Peacefully“? Na, natürlich gar keiner! Immerhin möchte man den Spieler unterhalten und ihn nicht nach einer dramatischen Autofahrt zum Tatort, bei der man sein Auto mehrfach fast mit einem Fußgänger als Spoilerfigur verziert hätte, damit langweilen, dass die Räuber wirklich so einfach aufgeben. 

Achtung! Räuber im Anmarsch!
Also kommt es, wie es kommen muss: Schüsse fallen! Geschrei! Noch mehr Schüsse! Einer der Detectives schaut um seine Deckung herum, um die Lage in dem kleinen Geschäft zu sondieren und da passiert es! Einer der Räuber landet einen wohlplatzierten Schuss und er geht zu Boden. Sinkt langsam nach hinten weg und gleitet wie eine Feder, bis der harte Asphalt seinen Sturz stoppt. Geschockt hält der Spieler für zwei Sekunden den Atem an, denn nun steht Cole Phelps oben ohne in seiner Deckung! Sein Hut hat es nicht geschafft und liegt trauernd im Straßendreck von Los Angeles. 

Während der Spieler noch fieberhaft überlegt, was er nun tun soll, so ohne Hut und mit bewaffnenten Räubern vor einem, die eindeutig in der Überzahl sind, versucht Coles Partner verzweifelt, die Lage unter Kontrolle zu bringen und schießt sich fast besinnungslos. Tragisch nur, dass seine KI  verhindert, einem der Räuber auch nur einen Streifschuss zu verpassen. Doch Cole weiß inzwischen, was er zu tun hat: Er löst sich aus der Deckung, geht einen Schritt zurück und vor dem staunenden Auge des Spielers bückt er sich, befreit seinen Hut von Dreck und setzt ihn sich wieder auf. Der Spieler grinst: „So ihr kleinen, dreckigen Räuber, jetzt habt ihr gelitten!“ Und das haben sie dann auch wirklich, wie der Leichenwagen, der am Ende der Mission vorfährt, bezeugt. 

L.A. 9:32: Der Hut sitzt!
Ja, mit Cole Phelps ist grundsätzlich nicht zu spaßen, aber ohne Hut geht bei diesem gar nichts. Egal wie dramatisch die Szene gerade ist: Einbrecher, die weglaufen, Verzweifelte, die sich in den Tod stürzen wollen, Schläger, die einen Mann fast besinnungslos prügeln, solange Cole Phelps auch nur die Chance hat in die Nähe seines geliebten Hutes zu kommen, wird er sie nutzen und sich das Prachtstück wieder aufsetzen. Dies führt einerseits zu Amüsement bei dem Spieler, andererseits lässt man hier vielleicht auch mal ein paar Nerven, wenn man im Gegensatz zu Cole der Meinung ist, dass der Typ mit der Halbautomatik vor einem gerade wichtiger ist. 

Andererseits, so sehr wie man L.A. Noire auch loben mag wegen der unglaublichen Grafik und der unglaublichen Animationstechnik, oben ohne sieht keiner der Charaktere besonders sexy aus. Von Haarpracht kann man bei niemandem reden, was diese auch zu wissen scheinen und deswegen wie Cole besonders eifrig ihre Hüte vor Schaden bewahren wollen.  Es drängt sich ein wenig die Frage auf, warum dies so ist. Die Frisuren der Männer sind so unbeweglich, dass man gar nicht wissen möchte, wie viel Haargel im Verlauf der Entwicklung des Games so draufgegangen ist. Aber darüber kann man hinwegsehen, vielleicht. Denn Herr von Welt kann seine schlecht gewaschene Haarpracht ja unter einem Hut verbergen. Bad-Hair-Day Ende der 40er. Als Frau verstehe ich das vollkommen!

Wie gesagt, bei Männern dank gängiger Gender-Ideale gerade noch verzeihbar, aber bei Frauen? Hier lässt sich das Problem nicht so einfach mit einem Hut umgehen, stattdessen tragen alle Frauen in L.A. Noire ihre Haare kurz bzw. hochgesteckt. Und dies auch in einer Art und Weise, die man gut und gerne als „festzementiert“ beschreiben könnte und wohl jeden Friseur in die Flucht schlagen würde. Dies ist sehr schade, denn für den Gesamteindruck einer Person spielen auch Haare eine wichtige Rolle.  Allerdings ist die Technik, um Haare glaubhaft zu animieren, noch weit von guten Ergebnissen entfernt. 

Kämen, Bürsten, Striegeln...
Und Haare sind ja auch tückisch! Das weiß jede Frau, die schon einmal abends mit nassen Haaren, in die man zuvor keinen Conditioner gepackt hat, eingeschlafen ist. Am nächsten Morgen erwartet einen das Grauen! Denn Haare lassen sich nicht so einfach beherrschen, weder im realen Leben, noch im virtuellen. Für gewöhnlich lösen sich immer ein paar Strähnchen, die dann trotzig im Wind tanzen. Lange, unbefestigte Haare wissen ihre Freiheit natürlich auch auszunutzen. Umso unnatürlicher wirken daher die festgekleisterten Haare aus L.A. Noire. Aber auch in anderen Games besteht dieses Problem: Seien es die starren, schulterlangen Locken meiner Magierin in Dragon Age II, in die die Hände ihrer Romance-Beziehung regelrecht hinein-glitchen, oder strohhalmmäßig anmutenden Rohre von Haaren, welche sich bei Trip in Enslaved finden lassen. Bestenfalls bewegen sich dicke Strähnen notorisch hin und her, wie bei den Damen von Uncharted 2 oder man greift von vorneherein zu dem obligatorischen Kurzhaarschnitt á la WTF-Madison* in Heavy Rain. Haartechnisch bleibt die Gameindustrie im Steinzeitalter. 

Im Bereich von Animationsfilmen ist man jedoch schon wesentliche Schritte weiter, auch wenn die Macher von Disneys „Tangled“ – hierzulande auch als „Rapunzel“ bekannt- immer wieder erzählen, wie aufwendig die Animation war und dass man dafür eigens neue Techniken entwickeln musste. Diese Techniken fanden dann auch noch bei anderen Charakteren Anwendung, sei es Maximus‘ Wallemähne oder Flynns Haarpracht, die jeden Mann, der um seine natürliche Kopfbedeckung fürchten muss, neidisch machen dürfte. Die Frage ist nur, wann solche neuen Techniken endlich auch für Games zugänglich werden, denn während Grafiken allgemein immer realer und detaillierter werden, kann man Charaktere nicht mehr lange  unter Hüten oder einer Haube von Hochsteckfrisur verstecken. 

Im Animationsfilm klappt es doch auch..
Und wenn man es tut bzw. tun muss, dann ist es doch fraglich, warum man damit die Spieldramatik zerstört, wenn Cole Phelps sich wiederholt nach seinem wichtigsten Stück bückt. 

Geschmack: herb bis bitter mit leichten Noten von Kakaobohne

*Zur Gattung „WTF-Madison“ wird es in Zukunft noch einen gesonderten Bericht geben :)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen