Montag, 27. Juni 2011

L.A. Noire: ein Spiel, ein Hype, ein Flop?

Ein kritischer Blick auf L.A.Noire

Rockstar gehört zu den Meistern des Marketing. Wie sonst ist es zu erklären, dass meist mindestens 10€ teure Zusatzinhalte wie warme Semmel von den Gamern gekauft werden. Ihre Spiele zeichneten sich normalerweise immer durch gutes Gameplay und eine dichte Storyline aus, die an den entscheidenden Stellen auch immer wieder schwarzen Humor lieferte, weswegen ein Erfolg auch ohne großes Marketing bei jeder Neuerscheinung so gut wie sicher wäre.

Aber man investiert trotzdem ordentlich in diesen Bereich. Publicity ist schließlich alles. L.A.Noire war da keine Ausnahme. Nachdem es im letzten Jahr erst relativ still um den interaktiven Detektivkrimi wurde, von Verzögerungen die Rede war, schien es der arbeitswütigen Marketing-Crew zusammen mit der Rockstar-Leitung irgendwann genug zu sein und ein Erscheinungstermin wurde festgelegt, worauf zahlreiche Werbeaktionen folgten. Schließlich landete das Spiel endlich in den Händlerregalen und die Gamer rannten schnellstmöglich in den nächsten Feinkostladen, um das Spiel ofenfrisch konsumieren zu können. Doch, obwohl die weltweite Restaurant-Fachpresse diese Kreation bereits in den höchsten Tönen lobte, blieb vielen das Gericht relativ schnell im Hals stecken. Ernüchterung trat ein. 

Die Verkaufszahlen sind ungelogen hoch, das Spiel gilt als kommerzieller Erfolg. Dem Hype und der guten Arbeit der Marketing-Crew sei Dank. Aber wirft man einen wirklich kritischen Blick auf L.A.Noire, dann erkennt man, dass das mehrere Gänge umfassende Menü aus immer denselben Bestandteilen besteht und auf einige wichtige Grundzutaten ganz verzichtet. Schauen wir also einmal genauer hin: 

Gameplay
Hier gibt es eigentlich nichts auszusetzen. Alles läuft solide ab. Rockstar-Solide! Das bedeutet: die Spielphysik, das Waffenhandling etc. entspricht dem guten Standard vorhergegangener Rockstar-Titel und bis auf gelegentliche Auseinandersetzung mit dem steuerbaren Charakter, was das in Deckung gehen oder nicht angeht, schmeckt hier fast alles gut.

Das Grundrezept ist einfach: ihr fahrt zu einem Tatort, sichert ein paar Beweise und verhört Zeugen und Tatverdächtige, wenn ihr es schafft Letztere auf der obligatorischen Flucht rechtzeitig einzufangen. Am Ende präsentiert ihr eurem Vorgesetzen einen Schuldigen oder eine Täterleiche und das Ganze geht wieder von vorne los.

Allerdings dürfte man mehrere Magenkrämpfe bekommen, wenn man sich in ein Auto setzt und selber fährt. Euer Feind ist in diesem Fall die gesamte Map von L.A., mit ihren K.I.-Passanten und K.I.-Autos genau so, wie mit sämtlichen anderen angebrachten Gegenständen: Häuser, Bänke, Straßenlaternen. Gegenstände haben aber den Vorteil, dass sie statisch sind und euch nicht spontan in den Weg springen. Dafür werden irgendwelche entgegenkommenden Autos (vorzugsweise an Kreuzungen) und Fußgänger (vorzugsweise überall) Jagd auf euch machen und alles daran setzen, dass ihr euer Ziel nicht erreicht. Glücklicherweise kann man alles, was nicht gerade eine Verfolgungsjagd ist, skippen, indem man seinen Partner fahren lässt. Wer braucht schon eine detailverliebte Stadt beim Fahren betrachten? 

Die Grafik
Rockstar-Solide. Detailverliebt. Realistisch. Die Grafik ist wirklich außergewöhnlich gut und bis auf die üblichen Verdächtigen (z.B. Haare, siehe Bericht weiter unten) gibt es hier nichts auszusetzen. Die Stadt ist ebenfalls schön ausgearbeitet und auch wenn sich verschiedene Modelle von Häusern und Passanten recht häufig wiederholen, entsteht doch das Bild einer lebendigen, aufstrebenden Stadt. 

Die Charaktere hat es da schon etwas schlechter erwischt. Vor allem die Frauengestalten sehen beinahe alle gleich aus, was kritisch betrachtet zur chauvinistischen Gesamteinstellung des Spiels passt. Zwar hatte man damit Werbung gemacht, dass Mimik im Spiel eine entscheidende Rolle spielen wird, jedoch wirkt diese nicht natürlich. Klingt paradox? Ist es wahrscheinlich auch, da es gegen alles geht, wofür das Spiel zu stehen vorgibt. Grundsätzlich ist das Mimikrepertoire  auf einige wenige Gesichtsentgleisungen beschränkt. Die Charaktere zeigen oft eine übermotivierte Gesichtskirmes, wie es Musical-Darsteller in der vierten Reihe rechts immer tun müssen: mit viel Muskelbewegungen im Gesicht möglichst dramatisch das vorne Gezeigte kommentieren. In den Verhören, die ihr als ambitionierter Detektiv immer wieder durchführen müsst, hat man auch schnell gelernt, die drei Standartausdrücke für Wahrheit-Zweifel-Lüge auseinander zu halten. Wobei einen auch das oft nicht davor bewahrt blind zu raten, wenn Cole Phelps scheinbar willkürliche Beweise mit nicht vorhandender Argumentationslogik heranzieht. Das was eigentlich die Stärke von L.A.Noire werden sollte, wandelt sich so recht schnell erst zu einer lustigen, dann später auch zu einer langweiligen Komponente, die den allgemeinen Frust fördert. 

Die Story
Gibt es nicht! Ist einfach nicht vorhanden! Fehlt!
Eine überspannende Handlung, die euch die Charaktere näherbringt und euch ins Geschehen zieht, fehlt. Stattdessen schlagt ihr euch von Kriminalfall zu Kriminalfall, die eventuell lose mit dem Ende des Spiels verknüpft sind. Es funktioniert ein bisschen so wie Crime-Serien auf den Privatsendern des deutschen Fernsehens, bei welchem es am Ende ein großes Staffelfinale gibt, zu welchem vielleicht zwei oder drei der vorhergegangenen Episoden etwas beigetragen haben. 

Größtes Problem bei der Sache: Wer ist eigentlich Cole Phelps? Ach ja, das ist doch dieser Typ, den man über weite Teile des Spiels steuert, oder? Obwohl ne, kann gar nicht sein. Irgendwann steuert man doch wen anders! 

Ganz genau! Der Hauptcharakter ist bloßes Mittel zum Zweck, weil man ja irgendein Medium im Spiel braucht, mit welchem der Spieler interagieren kann. Aber zu mehr ist er nicht von Nöten, weswegen er an einem Punkt im Spiel auch einfach ausgetauscht wird. Der neue Charakter, dessen Namen der Autorin permanent entfällt, ist ebenfalls nur Mittel zum Zweck. Doch was sich über ihn sagen lässt: er ist noch unsympathischer als Cole Phelps, was echt eine Leistung ist. Ansonsten bleiben die Charaktere blass und so etwas wie Identifizierung kann an keinem Punkt im Spiel stattfinden. Dadurch geht L.A.Noire ein sehr wichtiger Punkt im Bereich Spielspaß verloren, denn wenn es in einem Videospiel nur noch am Rande um die Charaktere geht, was bleibt dann? Das große ganze? Die Stadt L.A. und die in ihr herrschende Korruption? Aber wie soll man sich damit identifizieren, vor allem wenn diese Stadt einen permanent mit unfähigen Autofahrern attackiert? Letztlich sind viele Crime-Serien gerade wegen ihrer Charaktere interessant, sei es ein Horatio bei CSI Miami oder die Stilfigur aller Detektive überhaupt: Inspektor Columbo! 

Mit der Sympathie, die einen Konsumenten an einen Charakter einer Serie oder eines Games bindet, steht und fällt das ganze Konzept, so zumindest meine geschätzte Meinung. Ein Spiel, was so sehr auf Gesichtsmimik und Interaktion wert legt, riskiert einiges, wenn sie den Hauptcharakter einfach als Skizze am Rande stehen lassen. Einigen mag diese Komponente generell egal sein, andere, mich eingeschlossen, werden sich wohl während des Spiels mehrfach die Frage stellen, was das ganze Theater eigentlich soll und das Spiel kopfschüttelnd zurück ins Regal stellen, wo es wohl noch längere Zeit einstauben wird.  

Der Rest?
Einstauben vor allem deshalb, weil es nach Abschluss der Story-Fälle und der 40 optionalen, kurzen Straßenverbrechen nichts weiter zu erleben gibt. L.A. erscheint zwar wie eine pulsierende Stadt, aber wirklich was erleben kann man dort nicht. Selbst so kleine Gimmicks, wie der Kauf eines Hot Dogs ist nicht drin. Geschweige denn die Anpassung des eigenen Autos und auch die Outfitwahl lässt sich als „Magermilch“ treffend beschreiben. 

Natürlich kann man loslaufen und die obligatorischen Sammelobjekte einholen, wenn man die Nerven dafür hat. Dennoch hat man keinerlei Möglichkeiten mit der Stadt außerhalb der Kriminalfälle zu interagieren. Daher wirkt die riesige Karte von L.A. vor allem größenwahnsinnig und protzig. Was hat man von einer riesigen Stadt, wenn diese außer den notorischen Wegblockaden nicht mit dem Spieler kommuniziert? 

Nicht zuletzt auch deswegen mag keine wirkliche 40er-Jahre Atmosphäre aufkommen. Klar, die Autos sehen anders aus als heutzutage, aber da ihr eh nur damit beschäftigt seit von Tatort zu Tatort zu fahren, bekommt ihr wahrscheinlich außer den dramatischen Orchestralstücken, die immer anklingen, wenn ihr auf dem Weg zu einem wichtigen Ziel seid, nicht einmal etwas von der eigens lizenzierten original Radiomusik mit. 

Letztlich bleibt bei L.A.Noire ein sehr fader Geschmack. Zu den offensichtlichen Sachen, wie der Tatsache, dass sämtliche Story-Fälle immer nach Schema F ablaufen, kommt sehr viel verschenktes Potenzial (vor allem im Bezug auf die Kulissengeisterstadt), nicht auszuhaltender Sexismus, der sich oft auch noch mit Rassismus paart (als einziges Mittel um 40er Jahre Atmosphähre zu erzeugen) und fehlende Charaktertiefe. 

Was bleibt ist die traurige Erkenntnis, dass L.A.Noire sicherlich das Potenzial zu einem bahnbrechenden, revolutionären Spiel gehabt hätte. Konjunktiv II! Daraus geworden ist ein mittelmäßiges Normalgericht in hübscher Verpackung. Indikativ! 

Geschmacksrichtung: Streuselkuchen mit viel Zucker, aber keiner Füllung 



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